Ein bisschen Schweigen: Das sogenannte „Teilschweigen“ und seine möglichen Folgen – eine Erläuterung aus der Sicht des Strafverteidigers

Nemo tenetur se ipsum accusare, so heißt ein aus dem römischen Recht stammender Rechtsgrundsatz, den praktisch jeder kennt, auch wenn er nie Latein in der Schule gelernt hat: Niemand muss sich selbst belasten, niemand kann gezwungen werden, zum „Zeugen gegen sich selbst“ zu werden – das heißt: Jeder und jede, der oder die einer Straftat beschuldigt wird, hat das unverbrüchliche Recht zu Schweigen. Dies ist in der Regel immer der erste Ratschlag, den ein Anwalt für Strafrecht seinem neuen Mandanten erteilt: Schweigen Sie!

Das Recht zu Schweigen als universeller Grundsatz

Dies ist ein sogenannter „allgemeiner Rechtsgrundsatz“ – so allgemeingültig und so selbstverständlich, dass man tatsächlich die Strafprozessordnung oder andere Gesetze vergeblich nach einem Paragraphen absucht, der genau dies festlegt: es gibt ihn nicht. Dieses Recht wird einfach als selbstverständlich existent vorausgesetzt.

Über dieses fundamentale Recht muss er oder sie belehrt werden – auch hierfür muss man weder Latein noch Rechtswissenschaft studiert haben, der gelegentliche Konsum eines einschlägigen Fernsehfilms oder eines Krimis klärt darüber (in mehr oder weniger zutreffender Form) auf.

Immerhin diese Pflicht zur Belehrung ist im Gesetz geregelt. In § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO heißt es: „Er (also: der Beschuldigte) ist darauf hinzuweisen, dass es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen“. Wird dies unterlassen, so führt das grundsätzlich dazu, dass eine dann erfolgte Aussage nicht verwertet werden darf. Für das Gericht gibt es sie dann nicht – selbst wenn sie ordentlich in der Strafakte abgeheftet wurde. Aber dies ist ein anderes, wenngleich nicht minder spannendes Thema.

„Aber: mache ich durch mein Schweigen nicht irgendwie einen „schuldigen“ Eindruck?“ Der Anwalt für Strafrecht ordnet ein

Es ist eine häufig anzutreffende Befürchtung insbesondere von Mandanten, die noch nie mit der Polizei und mit Gerichten zu tun hatten, dass es negative Folgen haben könnte, wenn jemand von seinem Recht zu Schweigen Gebrauch macht und weder bei der Polizei, noch bei der Staatsanwaltschaft und auch nicht vor Gericht eine Aussage macht.

Die Aufgabe des Verteidigers ist es, seinem Mandanten diese Sorgen zu nehmen und rational zu überlegen, ob und wann eine Aussage erfolgen soll oder nicht. Im Zweifel gilt immer: Schweigen ist Gold.

Der Grundsatz: keinerlei negative Rückschlüsse aus dem Schweigen des Mandanten

Könnte ein Gericht nun aus der Tatsache, dass jemand von seinem fundamentalen Recht zu Schweigen Gebrauch macht, negative Schlüsse ziehen und diesen Umstand in die „freie richterliche Beweiswürdigung“ miteinbeziehen (und einen Schuldspruch in seinem Urteil etwa so begründen: „Hinzu kommt, dass der Angeklagte zu den Vorwürfen nichts gesagt hat und sich nicht bemüht hat, die plausiblen Vorwürfe zu entkräften; deshalb ist das Gericht überzeugt, dass er der Täter ist“), so wäre dieses fundamentale Recht wertlos. Im Ergebnis lastete dann ein ganz erheblicher Druck auf einem Beschuldigten, zu reden – wohlmöglich sich selbst um Kopf und Kragen.

Aus diesem Grund ist dies auch ausgeschlossen. Und kommt in der Praxis auch nicht vor.

Jeder Strafverteidiger wird verwundert die Frage stellen, wie das generalisierte Abhören jedweder Kommunikation aller Kunden eines Anbieters denn rechtmäßig sein können soll. Nach deutschem Recht muss für das Abhören von Telefonaten oder die online-Durchsuchung immer zumindest ein Anfangsverdacht gegenüber der betroffenen Person bestehen. Den gab es hier aber gar nicht – man wusste ja noch nicht einmal, wen man da gerade abhörte und überwachte!

Die Ausnahme: das sogenannte „Teilschweigen“, oder:
der Anwalt für Strafrecht mahnt: kein „Cherry-Picking“ für den Angeklagten!

Ein Angeklagter mag nun der Ansicht sein, zu einem Teil der Vorwürfe gefahrlos und zu seinem Vorteil Stellung nehmen zu können – über andere Aspekte möchte er lieber den Mantel des Schweigens breiten, da er befürchtet, hier einer kritischen Befragung nicht standhalten zu können, sich vielleicht in Widersprüche zu verwickeln oder aus irgendeinem anderen Grund.  Was wird ihm hierzu nun sein Strafverteidiger raten?

Er wird ihm erklären, dass dies nicht besonders klug ist. Denn in diesem Fall – der Angeklagte erklärt sich zu einem Teil des Sachverhalts, zu einem anderen Teil verweigert er dann jedoch die Aussage – bricht der Schutz vor einer negativen Würdigung seines Schweigens zusammen. Das Gericht darf nun – und wird dies in der Regel auch tun – den Umstand, dass er von seinem Recht zu Schweigen nur zum Teil Gebrauch gemacht hat, zu seinen Ungunsten in die Beweiswürdigung einfließen lassen.

Im Urteil liest es sich dann etwa so: „Während der Angeklagte ausführlich zu dem Umstand Stellung nahm, dass er weder der Eigentümer noch der Halter des PKW sei, mit dem der Fußgänger zu Fall gebracht und verletzt wurde, verweigerte er die Auskunft dazu, wo er selbst denn zum Zeitpunkt dieses Unfalls war und ob es zutreffe, dass er sich das Fahrzeug kurz zuvor von seinem Bekannten geliehen hatte. Dies lässt nämlich den Schluss zu, dass er tatsächlich auch der Fahrer des PKW zum Unfallzeitpunkt gewesen ist; ansonsten hätte er sich hierzu erklären können“.

Fazit

Die Frage, ob ein Angeklagter sich äußern soll (sich „einlassen“) oder ob er schweigt, ist einer der wichtigsten und der grundsätzlichsten strategischen Fragen, die ein Verteidiger gemeinsam mit dem Mandanten klären muss (siehe hierzu den Artikel: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold – oder…?“).

Fällt die Entscheidung – aus welchen Gründen auch immer – dahingehend, dass der Mandant zum Tatvorwurf schweigen soll, so sollte er dies grundsätzlich umfassend tun. Der Anwalt für Strafrecht wird ihm raten, dass er dann schlicht erklären solle, er mache von seinem Recht zu Schweigen Gebrauch und werde sich nicht zur Sache einlassen.

Dies ist dann aber auch stringent und sauber durchzuhalten. Alles andere birgt Gefahren, die einzugehen wohlüberlegt sein will.

Foto oben: Schweigen – Foto von Kristina Flour on Unsplash

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