Ansatzpunkte für eine Verteidigung in den sogenannten „Encrochat-Verfahren“ mit einem erfahrenen Strafverteidiger – bundesweit

Seit geraumer Zeit spielen sogenannte „Encrochat-Verfahren“ eine ganz erhebliche Rolle vor deutschen (und ausländischen) Strafgerichten. Zum einen rein zahlenmäßig: die Anzahl der Verfahren, bei denen die Beweisführung im Sinne der Anklage über ausgelesene Mobilfunk- und Handy-Daten des Anbieters „Encrochat“ erfolgt, ist immens. Sie wird aber noch weiter anwachsen.

Encrochat-Verfahren: Worum geht es? Die Sachlage bei der Verwertbarkeit von Handy-Daten aus Sicht eines Anwalts für Strafrecht

Zu Beginn des Jahres 2020 hatten die französischen Strafverfolgungsbehörden etwas geschafft, was bin dahin noch niemandem gelungen war: sie erlangten Zugang zu der über den Kommunikationsanbieter „Encrochat“ abgewickelten elektronischen Kommunikation. Das Unternehmen war spezialisiert auf verschlüsselte Kommunikation und bot „abhörsichere Mobiltelefone inklusive Software“ an, zu hohen Preisen. Von diesem Moment an konnten die französischen Behörden die Kommunikation sämtlicher Nutzer praktisch in Echtzeit mitlesen – und taten dies auch bei mindestens 32.000 Nutzern in vielen Ländern, eben auch in Deutschland. Die so erlangten Daten gingen dann über die europäische Polizeibehörde EUROPOL auch an das deutsche BKA. Es folgten zahlreiche Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und Anklagen – mittlerweile sind auch schon zahlreiche Urteile gesprochen worden.

Spezial-Staatsanwaltschaften für „Encrochat“-Handy-Daten: es braucht auch einen Encrochat- Verteidiger!

In Berlin so wie in anderen großen Städten auch wurden bei den Staatsanwaltschafen eigens neue Abteilungen gegründet, um der Vielzahl der Ermittlungsverfahren Herr werden zu können. Umso wichtiger ist für einen Beschuldigten in diesen Fällen, seine konsequente Verteidigung durch einen erfahrenen Strafverteidiger wahrnehmen zu lassen. Es gibt sonst keine Waffengleichheit!

Eine spezialisierte Staatsanwaltschaft ist einem Gericht, das möglicherweise erstmals mit dieser komplizierten Materie befasst ist, hoffnungslos überlegen – und kann den Kurs des Verfahrens bestimmen und erheblich zum Nachteil des Angeklagten beeinflussen. Spezialisierte Gerichte gibt es nämlich, anders als dies bei den Staatsanwaltschaften der Fall ist, nicht. Ohne einen kompetenten Anwalt für Strafrecht besteht damit für einen Beschuldigten die erhebliche Gefahr, dass die Rechtsauffassung und die Strafvorstellung der Staatsanwaltschaft vom Gericht ein zu eins übernommen und schlicht „abgenickt“ wird.

Encrochat-Verfahren: Ohne erfahrenen Strafverteidiger geht es nicht!

Die Bedeutung der Encrochat-Verfahren ergibt sich also nicht nur aus der schieren Anzahl der Fälle, in denen ermittelt wird und in denen nun eine weitere Anklagewelle über das Land schwappt. Sie ergibt sich auch aus den grundsätzlichen Fragen der Beweisverwertung: Darf alles, was den Ermittlungsbehörden bekannt ist, in einem Strafprozess vor deutschen Gerichten als Beweis verwendet und zur Grundlage einer Verurteilung gemacht werden – egal, wie die Behörden an diese Erkenntnisse gekommen sind?

Jeder Strafverteidiger wird verwundert die Frage stellen, wie das generalisierte Abhören jedweder Kommunikation aller Kunden eines Anbieters denn rechtmäßig sein können soll. Nach deutschem Recht muss für das Abhören von Telefonaten oder die online-Durchsuchung immer zumindest ein Anfangsverdacht gegenüber der betroffenen Person bestehen. Den gab es hier aber gar nicht – man wusste ja noch nicht einmal, wen man da gerade abhörte und überwachte!

Technische Nachvollziehbarkeit der Encrochat-Daten: Vertrauen ist gut, Kontrolle durch einen Anwalt für Strafrecht ist besser

Weitere ganz grundsätzliche Probleme betreffen die Frage, ob Beweismittelketten überhaupt nachvollziehbar sind und ob sich die Gericht auf die Richtigkeit der vorgeblich ausgelesenen Daten verlassen können – oder ob sich die Verarbeitung gar nicht nachvollziehen lässt.

Denn: Die Details der Überwachungsmaßnahmen in Frankreich sind völlig unbekannt, sie sind in Frankreich praktischerweise direkt als Staatsgeheimnis eingestuft worden. Man soll also den Behörden schlicht „glauben“, wenn sie sagen, es habe schon alles seine Ordnung gehabt mit den Ermittlungen.  

Betroffene, Verteidiger und Gerichte sollen aber nicht nur glauben, was die französischen Behörden sagen; auch den deutschen Behörden soll pauschal vertraut werden: auch wie genau diese Daten überhaupt nach Deutschland gekommen sind, wurde und wird nach Kräften verschleiert. So erhalten deutsche Ermittlungsbeamte oder auch Ermittlungsrichter, die von den Verteidigern als Zeugen benannt wurden, schlicht keine Aussagegenehmigung – und fallen damit als Zeugen für eine möglicherweise rechtswidrige Gewinnung der Daten aus.

Das sind die immensen Herausforderungen für einen Verteidiger, wenn es um die Verwertung der Informationen aus diesen Chats in deutschen Strafverfahren geht.

Encrochat-Handy-Daten: wie prüft ein Verteidiger, ob sie in einem Prozess verwertbar sind?

Die spannende Frage nach der Zulässigkeit von Beweismitteln gehört bei allen erfahrenen Strafverteidigern grundsätzlich zu den Punkten, die er bei der Vorbereitung einer Verteidigung abklopft (zu den in der Praxis der Strafverteidigung recht häufig vorkommenden Problemen der Beweisverwertung (etwa die Verwendung von Dashcam-Aufnahmen, heimlich anfertigte Gesprächsaufzeichnungen, beschlagnahmte Verteidigungsunterlagen oder beim behandelnden Arzt beschlagnahmter Krankenakten, um nur wenige Beispiele zu nennen) siehe unseren Artikel Beweisverwertung vor deutschen Gerichten – Ihr Verteidiger erläutert die Grundregeln der strafprozessualen Beweisverwertung)

Besonders komplex ist das bei den Encrochat-Handy-Daten wie oben gesehen auch deshalb, weil die Daten nicht von deutschen, sondern von französischen Behörden erlangt worden sind – nach französischem Recht.

Als Strafverteidiger kann man bei der Prüfung nur zu den folgenden Ergebnissen gelangen: Diese Daten sind vor deutschen Gerichten nicht verwertbar!

Argumente des Strafverteidigers gegen eine Verwertung der Encrochat-Daten

Die verdachtsunabhängige, ungezielte und breit gestreute heimliche Massenüberwachung, die erst auf die Generierung von Verdachtsmomenten gegen die einzelnen Nutzer und damit die systematische Suche nach Zufallsfunden gerichtet war, ist tatsächlich eine geheimdienstliche Maßnahme –  als strafprozessuale Maßnahme ist sie ohne Rechtsgrundlage erfolgt und wäre nach deutschem Recht unzulässig.

Entsprechend kam das Landgericht Berlin zu dem Ergebnis: Die Überwachung sei ein nicht gerechtfertigter Eingriff in das Telekommunikationsgrundrecht aus Art. 10 Grundgesetz (GG) und in das sogenannte IT-Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG. Die nach der eigentlichen Überwachung durch die französischen Behörden erfolgte Bereitstellung für eine Verwendung durch deutsche Behörden bedeute einen weiteren eigenständigen Eingriff. Auch die Überwachung der Kommunikation in Deutschland, auf deutschem Hoheitsgebiet, durch französische Ermittler ohne Kenntnis und Zustimmung der deutschen Behörden sei ein weiterer schwerwiegender Verstoß gegen europäisches Ermittlungsrecht.

Die Verstöße seien so schwerwiegend, dass eine Verwertung ausgeschlossen sei.

Encrochat-Handy-Daten: Das sagt der BGH

Mit Spannung wurde eine Entscheidung des BGH, des höchsten deutschen ordentlichen Gerichtes, zu dieser Thematik erwartet. Als Strafverteidiger kann das Urteil zu der Entscheidung nur lauten: der BGH hat hier offensichtlich vom gewünschten Ergebnis her argumentiert und es sich ein wenig einfach gemacht. Tatsächlich ist die Kernargumentation des BGH, der die Verwertbarkeit der Daten trotz aller eklatanter Mängel bejaht, die folgende:

Die Daten können verwertet werden, weil jedenfalls „eine gezielte oder systematische Umgehung dem individuellen Rechtsschutz von Beschuldigten dienender Vorschriften durch französische oder deutsche Behörden weder nachvollziehbar dargelegt noch sonst konkret ersichtlich“ sei. Eine Überprüfung der französischen Ermittlungsmaßnahmen am Maßstab des französischen Rechts sei überflüssig.

Encrochat – das sagt der Verteidiger zum BGH:
Verteidigung ist möglich – und wichtiger denn je

Denn der „Kampf ums Recht“ geht weiter. Als Strafverteidiger sehen wir zum einen guten Ansatz in der BGH-Entscheidung selbst. Denn über eines konnte sich nicht der BGH und kann sich damit auch kein anderes deutsches Gericht hinwegsetzen: Das Mit- und Auslesen war in jeden Fall ein schwerwiegender Eingriff in das von Art. 10 des Grundgesetzes geschützte Fernmeldegeheimnis. Ein derartiger Eingriff ist nach deutschem Recht an bestimmte Voraussetzungen gebunden, die über einen einfachen Anfangsverdacht hinausgehen – sonst ist er unverhältnismäßig.

Damit erlaubt der BGH die Verwertung der Encrochat- Daten nur bei bestimmten, besonders schweren Straftaten! Aussichtsreicher Verteidigungsansatz ist damit zunächst die Prüfung, ob eine solche Straftat überhaupt vorliegt. Dies können wir bei einem Blick in die Akten relativ schnell und sicher feststellen. Werden nun in der zu erwartenden Anklagewelle der deutschen Staatsanwaltschaften Prozesse wegen solcher, geringfügigerer Delikte geführt, die diese Schwelle nicht erreichen, so wird eine Verwertbarkeit der Daten vor Gericht ausscheiden. Damit bricht aber in der Regel die Beweiskette auseinander.

Und mindestens einen weiteren vielversprechenden Ansatz gibt es: Es ist nämlich auch noch völlig unklar, ob die Entscheidung des BGH Bestand haben kann. Hier sind auch verfassungsmäßige Rechte der Beschuldigten betroffen, so dass auch das Bundesverfassungsgericht ein Wort mitzureden haben wird.

Entsprechende Verfassungsbeschwerden sind bereits in Karlsruhe anhängig gemacht worden. Auch hier bieten sich für einen erfahrenen und engagierten Strafverteidiger weitere Möglichkeiten der Argumentation – und damit jedenfalls auch gewichtige Argumente für Verständigungsgespräche mit dem Gericht, wenn ein Freispruch nicht erreichbar scheint.

Foto oben: Nachricht schreiben im Smartphone – Foto von Pradamas Gifarry on Unsplash 

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